Noch einmal unabsichtlich


Ein warmgelbes Tuch liegt verlässlich über einer bemalten Leinwand, die Schwalben fliegen, wenn sie ihr Nest verlassen, zuweilen auch aus dem Foto. Aus dem Bildraum fliegen können sie nur, weil sie mit der Kamera geframed wurden. Fotografie kann nicht nur schnell, sondern auch zu den unterschiedlichsten Zwecken. Schwalben durch den Sucher verfolgen und abdrücken, da weiß man, was man zu tun hat, auch ohne wissen zu müssen, weshalb eigentlich.

Und der nicht mit gejagt hat, sondern nur die Trophäen, die Fotografien vor sich hat? Kümmert den die Absicht? Was bilden die Bilder eigentlich ab, was bringen sie zur Darstellung? Die Schwalben?Die Jagt nach den Schwalben? Sichtbar wird umso mehr der Raum, in dem sich alles abspielt, der konkrete Raum, die ausschnitthafte Tankstellenarchitektur, wie auch der Raum der Möglichkeiten, in dem etwas passieren kann oder auch nichts passiert, von dem und in dem Bilder gemacht werden. Und die Absicht? Was auch immer sie gewesen sein mag, ins Bild kommt die Absicht nicht als konstant determinierende, sonder auch als Vergangene, Aufgehobene.

Einschlafen klappt beizeiten besser, wenn die Absicht dazu nicht zu sehr im Vordergrund steht. Glücklichsein womöglich auch. Und wie, wenn das, was ein solches Foto ausmacht, zu dieser Familie unintendierter Nebenprodukte gehörte und die Serie diesen Status eigens darstellte?

Aber es gibt ja unterschiedliche Stationen des Arbeitsprozesses. Zuerst die elf binnen einer Viertelstunde entstandenen Aufnahmen. Später dann die Entscheidung, sie zu zeigen, mitsamt all der Formentscheidungen, die damit einhergehen, etwas den Rang von Kunstwürdigkeit zuzumessen. Diese späteren Akte nehmen die Fotografien aber nicht einfach als Material, aus dem dieses und jenes zu machen wäre. Es werden auch nicht besonders gelungene Fotografien ausgewählt, sondern der vollständige Satz präsentiert. Nur weil die Umstände ihres Entstehens in ihnen präsent sind, kann der Umschlag von Absichtslosigkeit zu Absicht sichtbar werden.
Der Moment.

“[Dialogue]“, so nennt Sebastian Lettner seine Ausstellung in der Milchstraße. Zweifelsohne geht es um Verhältnisse. Das Verhältnis von Foto zu Situation, in der es aufgenommen wurde, wie von Malerei zu Malakt. Die Beziehung von Fotografie und Malerei (hierzu etwas zu sehen war mein Wunsch an Sebastian Lettner bei der Einladung zu dieser Ausstellung). Und nicht zuletzt geht es wie immer, auch doch spezifisch, um das Verhältnis der ausgestellten Arbeiten und den Besuchern. Also : Ihnen.

Dialog nun ist so etwas wie Verhältnis mit Absicht, mit Kommunikationsabsicht. Ein Kommunikationsversuch findet statt, wo jemand mit der Äußerung von etwas beabsichtigt, eine bestimmte Wirkung beim Empfänger aufgrund dessen zu erzielen, dass dieser seine Absicht mitkriegt.

Kommunizieren Lettners Bilder? Man hätte ihnen dann so etwas wie Absichten zuzusprechen – ein Wort für das Bestimmende, das ihnen innewohnt: dass sie nie bloß Objekt sind, sondern Gegenüber.

Für den Titel ist “Dialogue“ eingeklammert: []. Eine Zurücknahme? Die Betonung des Zwischen? Und/oder ein weiterer Bezug: aus einem Frame eines Films von Heinz Emigholz hat Lettner für die Einladungskarte ein Hochformat ausgeschnitten, und eben dieser Experimentalfilmer Emigholz schreibt seine Titel in solche Klammern. Ist die künstlerische Tat hinter solchen Übernahmen, auf der Rückseite der Zufälligkeiten und jenseits des Offenlassens (“Dialog“) - oder in ihnen? Offenhalten lässt sich auch festschreiben, eben wenn diese Haltung auf sich selbst verweist. Wollte man dem Deutenden Betrachter den Wind aus den Segeln nehmen, so müsste man die eigenen Arbeiten nur als Fähnchen im Wind des größten Zufalls ausgeben.
Das geschieht hier nicht.

Man könnte ja denken: In der Malerei, da ist ja alles sinnfällig, da herrscht Immanenz, da ist mehr an Körper beteiligt als nur ein Nervenimpuls, der den Auslöser drücken lässt. Da werden auf einem Großformat, Gesten veranstaltet, ein Bildraum beherrscht, da gibt es keine äußere Zeit, die etwas ins Bild schmuggeln kann, sondern nur die Innere, die Vollzugszeit des Malprozesses selbst. Bei einem Foto droht der Blick auf das Abgebildete den auf das Bild zu verdecken. Die Malerei exponiert überaus deutlich ihr ebenso rechteckiges Spielfeld. In ihr wird vollzogen, hier darf man selbst Schicksal spielen. Ja, vielleicht. Vielleicht passiert es hier im Tun selbst: Im Auswischen, in Bewegungen, die an das Flattern der Schwalben erinnern mögen, entstehen Resultate, die an das Flattern der Schwalben erinnern.

Malerei und Fotografie: unterschiedlicher Wirklichkeitsbezug? Oder vielmehr: unterschiedliche Arten der Absichtslosigkeit.
Die Realität kann überraschen. Aber man kann sich auch selbst überraschen.Das Jetzt ist das, worauf man keinen Zugriff hat, zu dem man sich nicht verhalten kann. Gegenwart ist nicht nur immer vergangen. Sie ist auch das Andere der Absicht.

Von Thomas Splett

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